Die tausend Perlen des Großen Khan

Eine Geschichte von kleinen und großen Dingen

Der Palast der Winde auf dem grünen Hügel in der Ebene, in dem der Große Khan lebte, erzitterte unter einem zornigen Schrei. Selbst die fröhlich im Winde flatternden Banner mit ihrem goldenen Drachen auf rotem Grund schienen für einen Moment nicht mehr unter dem Rhythmus der sanften Frühjahrbrise zu schwingen, sondern vor Schreck zu erstarren.

Erstarrt waren auf jeden Fall die zahlreichen kostbar gekleideten Bediensteten des Großen Khan. Denn es war ihr Herr selbst, der diesen schrecklichen Schrei ausgestoßen hatte und der nun, die reich verzierten Türflügel hinter sich zuschlagen lassend, mit zornigem und gehetztem Gesichtsausdruck aus seinem Thronsaal getreten war.

Zu guter Letzt war nun auch sein Schreiber krank geworden, gerade jetzt wo ihm wieder eingefallen war, dass er ein neues Gesetz zur artgerechten Hundehaltung hatte schreiben lassen soll. „Zu guter Letzt“, bitter lachte der Große Khan, als ob es nicht schon genug gäbe, an das er alles hatte denken wollen und müssen. Da waren die Hochzeitsvorbereitungen seiner jüngsten Schwester, der verlorene Ball seines ältesten Sohnes, das Geburtstagsgeschenk für seine Lieblingsfrau, die Belohnung für den Palastkoch für seine letzte herrliche Suppenkreation und die Strafe für den diebischen Diener seiner zweiten Lieblingsfrau.

Der Große Khan ächzte leise wie unter einer großen Last Steine, die jemand einen Berg herauftragen muss aber nicht will, und trat einen Schritt weiter vor seinen Palast. Sofort wichen die Bediensteten ängstlich und ehrfürchtig zurück und bildeten einen weiten Halbkreis um ihren Herrn. „Gebt unserem Herrn Raum“ wisperten sie ängstlich. „Macht Platz! Niemand soll ihn unter Erduldung schwerster Strafen bei seiner schweren Arbeit stören.“ Zischte der Hofmarschall und die Bediensteten wurden ein Stück blasser und wichen noch weiter zurück.

All dies sah der Große Khan kaum. Oder schlimmer, er sah seine Bediensteten und sah in welchem schlechten Zustand viele der einst prächtigen Staatsgewänder waren. Ja auch das war so etwas und er glaubte den tadelnden Blick seines verstorbenen Vaters auf sich zu spüren. Aber zunächst galt es doch das Gold für das Glück seiner Schwester zusammen zubekommen und da waren noch die Nachbarn an der Ostgrenze, die keine Ruhe gaben und mal offen und mal hinterrücks gegen ihn intrigierten, da war das uneheliche Kind, dem er gerne eine gute Ausbildung zukommen lassen würde, aber dafür hätte er dem Hofmarschall einiges erklären müssen, gerade dem, der doch so ein rechtgläubiger alter Freund seiner Mutter war. Der Große Geist möge ihr gnädig sein und ihm auch, denn lange hatte er ihr Grab nicht mehr besucht und die Priester fragten auch schon ungeduldig, wann er die Zeremonie des Neuen Mondes ausrufen wollte. Aber dazu brauchte es zum einen Regen und zum anderen eine Rede, die ihm sein Schreiber hätte schreiben sollen und der nun krank war. „Großer Khan“, knirschte er abfällig, „Herrscher über tausend glänzende spitze Scherben“ und er blickte düster auf seine Hände hinab als flösse dort Blut aus tausend kleinen Wunden.

„Halt Du Tölpel“, ließ sich da mit leicht überschlagender Stimme der Hofmarschall vernehmen, und er stieß dabei einen alten Bauern zu Boden, der leise vor sich hin erzählend um die Ecke des Palastes gebogen und so unversehens in den ehrfürchtigen Bannkreis um den Großen Khan getreten war. „Wie kannst Du unverschämter Nichtsnutz wagen, die Kreise unseres Herrschers zu stören.“ fuhr der Hofmarschall den zu Tode erschrockenen Bauern zu seinen Füßen an. Und unterwürfig zu seinem Herrn gewandt fügte er hinzu „Oh Großer Khan seid versichert, dass dieses Nichts die größtmöglichen Qualen erleiden wird für seine Frechheit.“

Als der alte Bauer diese Worte hörte weiteten sich seine Augen noch mehr vor Schreck und unter Tränen brachte er hervor „Herr habt Erbarmen! Meine Schuld ist unermesslich, doch bedenkt heute noch will ich den Bewässerungsgraben richten, der zu unseren trockenen Feldern führt, für meine Frau habe ich gerade diesen bestickten Gürtel für ihren Geburtstag gekauft, mein Hund hat eine verletzte Pfote, die ich dreimal täglich mit einer Salbe behandeln muss. Meinem Nachbarn helfe ich danach ein wenig bei der Apfelernte und für meinen Sohn, habe ich dieses Messer, damit er seine Weinreben besser beschneiden kann. Und meinem Enkel zeige ich heute Abend den Umgang mit der Angel.“

Nun war der Hofmarschall ein zwar strenger, aber auch weiser Mann und als er den Bauern so reden hörte, verspürte er den Wunsch ihn vor dem Zorn des Groß Khan zu schützen. Dieser sah jedoch in seinen Händen tausend leuchtende Perlen, nickte dem Bauern freundlich zu und begab sich ruhigen Schrittes in seinen Thronsaal.